Klimawandel, 2°-Ziel und „Dekarbonisierung“
Warum Wirtschaft und Zivilgesellschaft ab jetzt handeln müssen
Drei Dinge vorweg:
- Kohlenstoff ist die Grundlage allen Lebens auf der Erde,
- Kohlendioxid ist das wichtigste Treibhausgas, das die Abkühlung der Erde verhindert, lebensfreundliche Temperaturen schafft und dadurch die jetzige Form des Lebens auf diesem Planeten ermöglicht,
- die richtige Dosierung ist ein schmaler Grat zwischen Leben und Nichtleben
Spätestens seit dem 3. Sachstandsbericht des „Zwischenstaatlichen Ausschusses über Klimaveränderung“ der UNO (IPCC) im Jahr 2001 ist klar, dass die gegenwärtige Konzentration von CO2 in der Atmosphäre (2015: mehr als 400 Teilchen pro Million) die höchste seit rund 15 Millionen Jahren ist. Natürlich lag sie davor auch schon bedeutend höher, nur: das war eine andere Welt.
15 Millionen Jahre lang bis in die 1860er Jahre lag die Konzentration stabil bei durchschnittlich 280 Teilchen pro Million. Seit den 1960er Jahren ist bekannt, dass die menschengemachte Industrialisierung – und hier fast ausschließlich durch die Nutzung von fossilen Energieträgern (Kohle, Erdöl, Erdgas) – für den enormen Anstieg des CO2-Anteils in der Atmosphäre und damit für den größten Teil des globalen Temperaturanstiegs verantwortlich ist. Dieser liegt derzeit bei 0,8 °C über dem Wert der vorindustriellen Zeit.
Was bedeutet das 2°-Ziel?
Ganz deutlich: die Begrenzung auf maximal 2°C zusätzlicher Erwärmung bis 2050 (also nur noch 1,2°C Differenz vom derzeitigen Stand aus) ist eine rein willkürliche Festlegung, um überhaupt ein Ziel zu verfolgen, auf das politische Entscheidungsträger sich einigen könnten. Diese willkürliche Zielsetzung ist als Grundlage für Verhandlungen in mehr und mehr UN-Klimakonferenzen seit Rio 1992 eingeflossen. Und wichtig:
selbst bei Einhaltung des 2°-Zieles wird die Welt dauerhaft anders aussehen als heute.
Das im Mai 2015 vom Helsinki Sustainability Center herausgegebene „Manifesto For A Sustainable Planet“ nennt 6 wichtige Parameter, die dieses 2°C-Ziel kennzeichnen:
- eine um 2°C höhere Durchschnittstemperatur datieren Klimahistoriker auf Zeiten weit vor 5 Mio. Jahren, als die gesamte Arktis und das Westantarktis-Eisschild eisfrei waren,
- um das 2°C-Ziel zu erreichen sind Anstrengungen und entschlossenes Handeln erforderlich, die nach bisherigen Erfahrungen politisch und technisch kaum umsetzbar scheinen,
- die globale Kohle-, Öl- und Gasindustrie kann noch über etliche Jahrzehnte hinweg komfortabel Rendite aus ihren Investitionen ziehen und deshalb einen schnellen Wandel im Bereich der Energieträger verzögern,
- die gesamte Weltwirtschaft baut infrastrukturell auf fossilen Energieträgern auf bzw. ist rohstofflich für die Weiterverarbeitung darauf ausgerichtet,
- es geht kein Weg an einer Umstellung der Weltwirtschaft vorbei und
- jedes Zögern verschlimmert die Lage. Business as usual führt zu einer Temperaturerhöhung um 4-5 Grad in den nächsten 150 Jahren. Das wird dann eine Welt, in der jedenfalls keine 9 Milliarden Menschen leben können.
Welche Folgen ergeben sich aus einer um 2°C höheren Durchschnittstemperatur?
- Über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten nimmt zunächst das Meereseis in der Arktis ab. Dadurch wird ein Großteil der Sonneneinstrahlung nicht mehr reflektiert, sondern durch die dunklere Meeresoberfläche absorbiert. Dies beschleunigt unmittelbar den globalen Anstieg der Durchschnittstemperatur.
- Eine höhere Durchschnittstemperatur sorgt für die Schmelze des Permafrostbodens (Dauerfrostbodens) in den nördlichen Breitengraden der Erde bis in tiefere Schichten. Dadurch entweichen erhebliche Mengen des 20 Mal stärkeren Treibhausgases Methan unkontrolliert aus dem Boden, die dort durch das Eis gebunden waren. Die Folge dessen ist eine weitere Beschleunigung der Erderwärmung selbst dann, wenn CO2 wirksam reduziert würde.
- Wetterextreme nehmen weltweit in einem Ausmaß zu, das unmittelbar die Nahrungsmittelproduktion und die wirtschaftliche Basis aller Menschen gefährdet bzw. unkalkulierbar macht. Die Folge sind unübersehbare Migrationsbewegungen wegen des Entzuges der Lebensgrundlagen für Hunderte Millionen Menschen.
- Über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten nimmt schließlich das Eis auf dem grönländischen Festland ab und fließt als Süßwasser ins arktische Meer. Gleichzeitig beginnt das Eis über dem westantarktischen Festland zu schmelzen. Im Gegensatz zu schwimmendem Eis erhöht diese Schmelze das Volumen des Meerwassers. Kombiniert mit einer Ausdehnung des Wassers durch höhrere Temperaturen steigt weltweit der Meeresspiegel um bis zu 6m gegenüber heute. Dies betrifft dann unmittelbar die Lebensgrundlage von mehreren Milliarden Menschen, die in den Küstenregionen leben.
- Die Salzkonzentration in den Weltmeeren nimmt ab mit noch unübersehbaren Folgen für die maritime Welt. Gleichzeitig bricht durch das Schmelzwasser Grönlands der Golfstrom ab, der das europäische Wetter beeinflusst. Dies führt regional in Europa zu einem Temperaturabfall, obwohl die globale Durchschnittstemperatur steigt. Die Folge sind Migrationsbewegungen aus dem Norden in den Süden.
Welche Anstrengungen sind erforderlich, um das 2°C-Ziel einzuhalten?
Immense Anstrengungen. Dies vor allem deswegen, weil seit Rio 92 globalpolitisch nichts Wesentliches bewegt und gleichzeitig sukzessive und weltweit die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen auch mit teils erheblichen staatlichen Subventionen weiter ausgeweitet worden ist. In der Mainau Deklaration 2015 vom 03.07.2015 haben zum Abschluss des 65. Lindauer Treffen der Nobelpreisträger insgesamt 36 Nobelpreisträger dazu aufgerufen, sofort mit Maßnahmen zu beginnen, um eine „umfassende menschlichen Tragödie“ zu verhindern.
- Die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks beschreibt die Anstrengungen so: „Bis 2050 sollen EU-weit die Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 gesenkt werden. Dazu muss es zu einer umfassenden Transformation kommen.“
- Die Transformation umfasst alle Lebensbereiche: z.B. Energieversorgung, Verkehrs- und Gebäudebereich, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft, Stadtentwicklung, Industrie sowie Gewerbe-, Handels- und Dienstleistungsbereich.
- Dekarbonisierung bedeutet in diesem Zusammenhang die entschlossene, vollständige Abkehr von fossilen Brennstoffen als Grundlage der Energieerzeugung nicht erst, wenn die Ressourcen zur Neige gehen. Damit verbunden ist die Umstellung der Infrastruktur der Weltwirtschaft.
- Umlenkung von Investitionen in erneuerbare Energieträger, weil Investitionen in fossile Energieträger nicht mehr lohnen.
- Über eine Senkung der CO2-Emissionen hinaus müssen Maßnahmen zur Verminderung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre ergriffen werden, z.B. über die Erhöhung der globalen Pflanzen-Biomasse.
Wir haben noch 35 Jahre Zeit und wir werden die Folgen unseres Handelns noch erleben. Nur mit übermenschlichen Anstrengungen können unmenschliche Lebensverhältnisse verhindert werden.